Grundbildung und Alphabetisierung - Relevanz des Themas, wissenschaftliche Studien und ein Film dazu

Richtiges Lesen und Schreiben ist in Deutschland eine wichtige Voraussetzung, um an allen gesellschaftlichen Bereichen gleichberechtigt teilzuhaben, sich im Beruf zu qualifizieren oder weiterzubilden. Formulare, Fahrkartenautomaten, Hinweisschilder, Bedienungsanleitungen, Sicherheitshinweise – ohne ausreichende Lese- und Schreibkenntnisse wird es in Alltag und Beruf manchmal kompliziert. Geringe Literalität benachteiligt Menschen.

Richtiges Lesen und Schreiben sind wichtige Teile der Grundbildung. Diese umfasst allerdings noch weitere Kompetenzbereiche.

 

Zu den Begriffen

Der Begriff der Grundbildung beschreibt jene Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Teilnahme an der Gesellschaft Voraussetzung sind. Dies gilt gleichermaßen für das private Umfeld wie für den beruflichen Alltag. Die Kultusministerkonferenz (KMK) definiert im Grundsatzdokument für die AlphaDekade 2016-2026: Der Begriff der Grundbildung soll Kompetenzen in den Grunddimensionen kultureller und gesellschaftlicher Teilhabe bezeichnen, darunter: Rechenfähigkeit (Numeracy), Grundfähigkeiten im IT-Bereich, Gesundheitsbildung, Finanzielle Grundbildung, Soziale Grundkompetenzen. Grundbildung orientiert sich somit an der Anwendungspraxis von Schriftsprachlichkeit im beruflichen und gesellschaftlichen Alltag, wobei die Vermittlung von Alltagskompetenzen immer auch in der Verbesserung sinnverstehenden Lesens und Schreibens mündet. Arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung stellt für Erwerbstätige eine mittlerweile vielfach erprobte Möglichkeit nachhaltiger Verbesserung der Grundkompetenzen dar.

Grundbildung ist damit ein Oberbegriff für grundlegende Kompetenzen; er ist unterhalb des Begriffs der Allgemeinbildung angesiedelt. Zur Grundbildung gehören auch kulturelle und politische Bildung, um im Zusammenspiel mit anderen Komponenten eine möglichst breite Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland zu ermöglichen.

Es geht vor allem darum, Bürgerinnen und Bürger zu befähigen, als eigenständig denkende, sich begründet Meinungen bildende und selbstbestimmt handelnde Personen im Alltag zu bestehen.

Bei der arbeitsplatzorientierten Grundbildung werden notwendige Lese-oder Schreibfähigkeiten aus der Praxis des jeweiligen Betriebs erlernt, etwa die branchen- oder berufsspezifische Fachsprache, das Erstellen von Dokumentationen und Arbeitsplänen oder auch betriebliche Kommunikation allgemein. Im Fokus steht auch hier das Lernen - der Vermittlungskontext ist eben der Beruf. Eine Gelingensbedingung beim Entwickeln jeder  Grundbildung ist die Alphabetisierung.

Gemäß einer Definition der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) gilt eine Person als „alphabetisiert, wenn sie eine kurze, einfache Aussage zu ihrem alltäglichen Leben mit Verständnis sowohl lesen als auch schreiben kann“. Als funktionaler Analphabetismus wird die Unfähigkeit bezeichnet, die Schrift im Alltag so zu gebrauchen, wie es im sozialen Kontext als selbstverständlich angesehen wird. Funktionale Analphabeten sind Menschen, die zwar Buchstaben erkennen und durchaus in der Lage sind, ihren Namen und ein paar Wörter zu schreiben, die jedoch den Sinn eines etwas längeren Textes entweder gar nicht oder nicht schnell und mühelos genug verstehen, um praktischen Nutzen daraus zu ziehen.

Die Leo-Studien 2011 und 2018 - Zahlen und Fakten

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahre 2011 die quantitativ angelegte  „Level-One-Studie (Leo-Studie)“ zur Größenordnung des funktionalen Analphabetismus in Auftrag gegeben.

Dabei wurden in der Studie vier verschiedene Levels unterschieden:

  • Alpha-Level 1: Personen fällt es schwer, auch einzelne Buchstaben zu erkennen (primäre Analphabeten/-innen).
  • Alpha-Level 2: Personen können dann zwar einzelne Wörter lesend verstehen, müssen aber Buchstaben für Buchstaben zusammensetzen.
  • Alpha-Level 3: Personen können zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben, sind aber nicht in der Lage, zusammenhängende Texte zu schreiben oder zu lesen.
  • Alpha Level 4: Personen können bei Verwendung eines alltäglichen Wortschatzes lesen und schreiben, auch auf Textebene. Texte können zwar sinnerfassend gelesen werden, die Rechtschreibung weist aber noch viele Fehler auf.

Als funktionale Analphabeten gelten hier die Personen der Alpha-Level 1-3.

Die von der Universität Hamburg 2011 veröffentlichte Studie hat zur verstärkten Auseinandersetzung mit dieser Art des Analphabetismus in Deutschland geführt und zu einer zweiten grundlegenden Studie, der "Leo-Studie 2018". Sie dient in erster Linie dazu, das Datenmaterial im Vergleich zur ersten Studie aus 2011 zu aktualisieren.  Der zentrale Befund: Im Vergleich ist die Anzahl der Menschen, die nicht ausreichend literalisiert sind (Alpha-Level 1-3) leicht zurückgegangen, von ca. 7,5 Mio. auf 6,2 Mio. bzw. 14,5% auf 12,1% der Erwerbsbevölkerung.

Da es sich bei beiden Studien um bundesweite Untersuchungen handelt und keine Länderauswertung durchgeführt worden ist, können die Zahlen für Baden-Württemberg nur abgeleitet werden. Legt man den Prozentsatz von 12,1% auf die Baden-Württembergische Erwerbsbevölkerung 2018 (ca. 6,3 Mio.) um, so ergibt sich rein rechnerisch eine Anzahl von derzeit ca. 750.000 Personen.

Häufig wird geringe oder nicht ausreichende Literalität im Arbeitskontext erst offensichtlich, wenn Veränderungen anstehen. Beispielsweise können wirtschaftliche Krisensituationen und ein damit verbundener drohender Stellenabbau ein Auslöser sein, neue Tätigkeiten übernehmen zu müssen. Aber auch die Einführung neuer Technologien und Prozesse stellt Menschen mit nicht ausreichender Grundbildung wie die Betriebe vor neue Herausforderungen. Anpassungs- und Nachqualifizierungen, aber auch Präventivmaßnahmen werden auf individueller Ebene immer bedeutsamer für den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit.

Die Grafiken (Quelle: Leo-Studie 2018) fassen die differenziert erhobenen Daten zusammen: 

 

Etwa jeder achte Erwachsene

Mehr Männer als Frauen

Eher Ältere, eher erwerbstätig

Große Unterschiede in Berufsgruppen

 

Ursachen für nicht ausreichende Literalität

Dabei ist vollständiger oder funktionaler Analphabetismus laut Bundesverband Alphabetisierung e. V. kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches und strukturelles Problem mit vielen Ursachen. Es entsteht im Zusammenspiel individueller, familiärer, schulischer und gesellschaftlicher Faktoren. Die Lebenswelterfahrungen der Betroffenen weisen trotz ihrer Vielschichtigkeit und bei aller Individualität eine erstaunliche Parallelität auf:

Ihnen ist gemeinsam, dass sie in Elternhäusern aufwuchsen, die die Entfaltung von Persönlichkeit und persönlichen Fähigkeiten nachhaltig beeinträchtigten. So konnten sie kein positives Selbstwertgefühl aufbauen und kein ausreichendes Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln. Daneben waren ihnen nur eingeschränkte Erfahrungen mit Sprache und Schrift möglich. Die häusliche Kommunikation war oft entwicklungshemmend ausgeprägt, Schrift spielte meist keine oder nur eine untergeordnete Rolle und literale Modelle (im Sinne von Buchstaben oder Zeichenketten bzw. Codes) standen eher nicht zur Verfügung. Auch negative (Lern-)Erfahrungen in Schule und Ausbildung gelten als Bedingungsfaktoren.

 

Alltagsbewältigung

Um in Beruf und Alltag zurechtzukommen, brauchen Personen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten viel Energie und Phantasie. Viele haben sich ausgeklügelte Strategien ausgedacht, um ihr Problem in der Schule, am Arbeitsplatz, im Sportverein, beim Einkaufen, beim Arztbesuch und auch im Familien- oder Freundeskreis überspielen zu können. So ist es etwa an vielen Arbeitsplätzen möglich, auch ohne grundlegende Lese- und Schreibkenntnisse gute Ergebnisse abzuliefern und bei Vorgesetzten Anerkennung zu finden.

Häufig gelingt es auch, auf der Basis gegenseitiger Hilfe einen positiven Arbeitsalltag zu gestalten ("Du füllst meinen Schichtbericht aus, dafür putze ich Deine Maschine!"). Vielen Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten ist es auch bekannt, wenn jemand nicht gut lesen und schreiben kann, und es wird akzeptiert oder zumindestens toleriert - solange der Arbeitsprozess nicht leidet. Das wird vor allem dann schwierig, wenn der Betrieb umstrukturiert wird oder wenn die Digitalisierung voranschreitet. Die dann notwendige Weiterbildung fällt gerade wenig qualifizierten Beschäftigten schwer.

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gehen auch bei un- oder angelernten Beschäftigten davon aus, im Bedarfsfall Lese- und Schreibkompetenzen abrufen zu können. Darauf verweisen unter anderem die Ergebnisse einer repräsentativen bundesweiten Unternehmensbefragung (IW Trends 2/2012) des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln aus dem Jahre 2012: Fast 90 Prozent der befragten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber erwarten von allen Beschäftigten, dass sie tätigkeitsrelevante Texte verstehen, und über 80 Prozent erwarten, dass alle Beschäftigten einfache Sachverhalte schriftlich formulieren können. Dies kann im Einzelfall eine Beschäftigung für funktionale Analphabetinnen und Analphabeten erschweren.

 

Text erstellt unter Verwendung des Beitrags von Dr. Norbert Lurz in der Broschüre des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), Weiterbildung, Dokumentation des Bündnisses für Lebenslanges Lernen zur Umsetzung der Empfehlungen der Enquêtekommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft“, Stuttgart 2015, S. 22 ff

 

Film des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)

Im Rahmen der Grundbildungs- und Alphabetisierungskampagne des BMBF "Mein Schlüssel zur Welt" hat das Bundespresseamt einen kurzen (3:23 min) Film zum Thema produziert, den Sie auf youtube ansehen können: klicken Sie hier.


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